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Europa: Im Zweifel rechts

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Marine Le Pen und der bulgarische Nationalist Volen Siderov (Foto: HomoByzantinus)
Marine Le Pen und der bulgarische Nationalist Volen Siderov (Foto: HomoByzantinus)

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Rechtspopulismus. So könnte man die derzeitige politische Entwicklung in großen Teilen des Kontinents zusammenfassen. Bemerkenswert ist, dass die neuen Rechten in diversen Staaten punkten und der neue Rechtspopulismus zunehmend von Frauen geprägt wird. SPD-Chef Gabriel will die populistischen Strategien derweil imitieren.

Von Patrick Gensing

In Frankreich ist die Nationale Front (Front National, FN) bei der ersten Runde der Regionalwahlen zur stärksten Kraft geworden. Auch in Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz,Österreich, Deutschland, Skandinavien, Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei und Griechenland legen rechtspopulistische Formationen kräftig zu.

Auf stolze 17,3 Prozent würde beispielsweise die Fortschrittspartei (FrP) kommen, wenn am kommenden Sonntag Parlamentswahl in Norwegen wäre. Das Erfolgsrezept der Rechtspopulisten im hohen Norden: Eine Mischung aus klarer Kante in der Flüchtlings- sowie soften Skills in der Sozialpolitik. Parteichefin Siv Jensen verweist insbesondere auf die jüngsten Vorschläge der FrP, die eine höhere Grundpension für Paare im Seniorenalter umfassen sowie eine striktere Gangart in der Flüchtlinspolitik. Und Jensen verweist auf die hohe Glaubwürdigkeit, die die Partei in der Bevölkerung genieße.

Klares Profil

Die FrP-Chefin nennt damit einige wichtige Punkte in der Erfolgsstrategie der neuen Rechten in Europa: Sie bieten ein klares Profil, das viele Menschen leicht verstehen und dem sie offenbar Glauben schenken – gerade auch Jüngere. Sie verknüpfen soziale Themen oder auch andere Politikfelder stets mit den Fragen nach nationaler Identität und Einwanderung. Auf diesem Gebiet halten viele Bürger die Rechtspopulisten offenkundig für kompetent. Eine große Rolle spielt zudem die Betonung der nationalen Selbstständigkeit – insbesondere gegen die EU.

Siv Jensen speaking at a rally in Oslo in the 2009 electoral campaign.
Siv Jensen speaking at a rally in Oslo in the 2009 electoral campaign.

Die neuen Rechtsparteien werden in mehreren Staaten von Frauen geführt. Neben Siv Jensen von der norwegischen Fortschrittspartei spielte in Nordeuropa Pia Kjærsgaard von der Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) eine herausragende Rolle bei der Etablierung des Rechtspopulismus. Die Sverigedemokraterna wurden hingegen von Jimmie Åkesson zum Erfolg geführt; aber immerhin fünf von 15 Posten im Parteivorstand werden von Frauen besetzt.

In Deutschland war es Frauke Petry, die den Streit um die Ausrichtung der AfD zur offen rechtspopulistischen Partei klar gegen Bernd Lucke für sich entschied. In Frankreich prägen Marine Le Pen sowie Marion Maréchal-Le Pen die Front National und sammeln Wählerstimmen aus verschiedenen politischen Milieus ein – auch und insbesondere in ehemaligen roten Hochburgen.

Reaktionäre für Gleichberechtigung

Ist der neue Rechtspopulismus also „weiblich“ geprägt? Unsinn. Was soll das auch bedeuten? Der Rechtspopulismus in Mittel-, West- und Nordeuropa hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vielmehr modernisiert, dies gilt sowohl für sein Auftreten als auch für die Inhalte. Er ist deswegen aber nicht „weiblicher“ geworden, also irgendwie geschickter, softer und emotionaler – so wie man es in Geschlechterklischees nun schlussfolgern könnte – sondern schlicht  attraktiver auch für Wählerinnen und Politikerinnen geworden. Altherrenvereine wie die Republikaner oder die alte FN sind Geschichte.

Dies liegt auch daran, dass sich die neue europäische Rechte vor allem hinter dem Feindbild Islam versammelt hat: Um sich von diesem abzugrenzen, muss man zwangsläufig betonen, wie fortschrittlich man selbst sei in Sachen Gleichberechtigung – auch wenn dies oft grotesk erscheint, da das Familienbild der meisten Rechtspopulisten wie eine Retro-Welle aus den 1950er-Jahren daherkommt.

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Ein ähnliches Phänomen ist bei neurechten Solidaritätsbekundungen für Juden oder Israel zu beobachten, wenn sich beispielsweise Deutschnationale plötzlich als Verbündete der jüdischen Community aufspielen, obgleich ihr eigenes Weltbild von antisemitischen Stereoytpen und reinstem Antijudaismus durchzogen ist und zusammengehalten wird. Diese strategische Camouflage sorgt immer wieder für Konflikte, da viele Akteure mit offenem Antisemitismus kaum an sich halten können oder wollen. Da der Antisemitismus aber vor allem als universelles Welterklärungsmuster dient und gar nicht als solcher wahrgenommen wird, sehen viele Menschen  auch außerhalb der Rechten keinen Widerspruch zwischen Songs über „Baron Totschild“ und angeblicher Solidarität mit Israel.

Ehe-Aus beim Poster-Girl

Sicherlich nützt es den neuen Rechten in der Außendarstellung allerdings in mehrfacher Hinsicht, Frauen als Gesichter präsentieren zu können, wird deren Anwesenheit an sich immer wieder medial thematisiert. Dabei werden Frauen offenbar als nicht ganz ernstzunehmend und irgendwie nicht so radikal wie deren Kameraden beschrieben: Wer lässt sich schon von einem „Poster-Girl“ (ntv) ins Bockshorn jagen?

Auch das „Ehe-Aus“ (Bild) von AfD-Chefin Petry sorgte medial für beachtliches Aufsehen; offenbar herrscht die Vorstellung, die neuen Rechten vorführen zu können, wenn deren antiquierte Vorstellungen der heilen Familienwelt kurzzeitig übernommen und auf die Protagonisten selbst angewendet werden. In der „Bild“-Zeitung klingt das dann so:

„Ausgerechnet Petry, die ach so konservative Vorbild-Pfarrersgattin mit den 4 Kindern soll eine Affäre haben?“

Die taz meinte zwar, es gebe keinen Grund zur Schadenfreude, wenn Petrys Ehe zerbreche, dennoch walzte sie die Affäre aus und garnierte den Artikel mit Fun-Facts, wonach ihr Neuer „offensichtlich“ reichlich Schulden mit in die Beziehung bringe.

Solche Darstellungen dürften Petry kaum geschadet haben, wenn überhaupt nur in parteiinternen Konflikten. Die neuen Rechten wollen nämlich nicht päpstlicher sein als der Papst, sonst hätte sich ein Lutz Bachmann mit seinen Vorstrafen nicht  zum Anführer einer sächsischen Bewegung der Wutbürger aufschwingen können; sonst würde man als selbst erklärte Verteidiger des „christlichen Abendlandes“ nicht hemmungslos auf Ausgrenzung von Schwächeren setzen – und man würde als „Patriot“ nicht mit aller Macht versuchen, durch Beleidigungen und Rabulistik die Gesellschaft zu spalten und Menschen gegeneinander aufzuhetzen.

Eine Geschichte und ein Versprechen

Der Erfolg des Rechtspopulismus in Europa ist keine Konsequenz aus dem großen Andrang von geflüchteten Menschen, in Frankreich und Großbritannien beispielsweise sind die Zahlen niedrig, in Skandinavien sind die neuen Rechten schon viel länger erfolgreich. Auch die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus genügt allein genommen wohl kaum, um das Phänomen zu erklären, denn in mehreren Staaten sind Rechtspopulisten bereits seit Jahren erfolgreich. Eine große Rolle für die wachsende Bedeutung der populistischen Schlagwortrhetorik spielen die teilweise katastrophale Diskussionskultur in sozialen Netzwerken sowie der Zerfall der politischen Debatte in Tausende Mikro-Filterblasen.

Der Rechtspopulismus ist aber vor allem eine Abwehr von Moderne (deren Resultat dieses Phänomen ist und dessen Möglichkeiten die Rechtspopulisten nutzen) sowie ein Versprechen. Die neuen Rechten versprechen den Bürgern Übersichtlichkeit, Sicherheit sowie ihren altbekannten Alltag. Der Rechtspopulismus hat keine Vision für die Zukunft, er hasst die Spontanität – alles soll so bleiben wie es war und ist. Die neuen Rechten erzählen die Geschichte vom kleinbürgerlichen Traum: das Ideal der klassischen Familie (inklusive einem Staat, der sich um Oma und Opa kümmern soll, weil man selbst keine Lust oder Zeit hat) – die Sehnsucht nach fassbaren Autoritäten statt unübersichtlichen Behörden und demokratischen Institutionen – das Verlangen, für die eigene Leistung belohnt und gelobt zu werden.

Auch Brandenburg im "Heimatschutz", Foto: Felix M. Steiner
Politik a la Straßenverkehrsordnung (Foto: Felix M. Steiner)

Die strategische Stärke des Rechtspopulismus macht somit vor allem ein Konzept aus, das man als „ökonomischen Patriotismus“ beschreiben kann: Ein starker Nationalstaat, der Zuwanderung nicht komplett verhindert, aber exakt kontrolliert – und der sich allumfassend um sein Volk, sprich Max und Erika Mustermann kümmert. Jürgen Elsässer hatte den Begriff des „ökonomischen Patriotismus“ bereits im Jahr 2009 aufgegriffen: Mit diesem Konzept, das Protektionismus und regressive Kapitalismuskritik beinhaltet, gelingt der Brückenschlag von rechts nach links – die viel zitierte Querfront. So wildert die Nationale Front in Frankreich seit Jahren im Milieu der Sozialdemokraten und Kommunisten. Ähnliches ist in Deutschland zu beobachten, wo Positionen von autoritären Linken fast nahtlos an die der neuen Rechten anknüpfen.

Gabriels „sozialer Patriotismus“

Die Wirkungsmacht von solchen Konzepten ergeben sich nicht aus einer möglichen Regierungsbeteiligung von rechtspopulistischen Parteien, sondern dadurch, dass solche Ideen übernommen werden. So will SPD-Chef Sigmar Gabriel populistische Strategien sozialdemokratisch vertäfeln, um in diesem politischen Milieu zu punkten: In einem 21-seitigen „Impulspapier“ beschrieb Gabriel im Juni 2015 ein starkes Deutschland in einer „Welt voller Unsicherheiten“. Gabriels Antwort auf die vermuteten Ängste der Menschen lautet „neue Sicherheit“. Diese bezieht er auf das Heimatgefühl, die Sozialsysteme und auf Kriminalitätsbekämpfung. In dem Begriff der Nation erkennt er „Bindekraft für breite Teile der Bevölkerung“ und warnt vor Überheblichkeit gegenüber solchen patriotischen Gefühlen.

Gabriel verkennt dabei, dass die SPD viele Jahrzehnte lang als Partei der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen wurde (ob zurecht oder nicht sei dahingestellt). Besonders viel Kompetenz wird der Partei bei Themen wie Kriminalitätsbekämpfung nicht zugestanden. Aber entscheidender ist: Es wird der SPD nicht nützen, die Strategien der Populisten zu imitiieren und damit in trübes Fahrwasser zu steuern.

Xavier Naidoo und Jürgen Elsässer
Xavier Naidoo und Jürgen Elsässer

Der Querfront-Publizist Elsässer hatte 2009 bereits geschrieben, er sei nicht deswegen für die Verteidigung der Nationalstaaten, weil er ein Freund des Nationalismus sei, „sondern weil ich ein Freund der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit bin. Die Demokratie und damit die Einflußmöglichkeiten der unteren Klassen lassen sich eben nur verteidigen im Rahmen strukturierter Nationalstaaten.“ Da passt kein Blatt zwischen zu Gabriels „Impulspapier“. Oder um es mit Jakob Augstein zu formulieren: „Die Eliten ernten die Früchte der Globalisierung, der Rest der Leute soll zusehen, wo er bleibt.“ Nur um es zu erwähnen: Augstein glaubt offenbar, mit solchen populistischen Sätzen den Rechtspopulismus zu analysieren bzw. zu schwächen.

Im Zweifel rechts

Der Rechtspopulismus wäre ohne rassistische Ressentiments, die in Krisen- und Transformationszeiten aktiviert werden, nicht denkbar. Für seinen derzeitigen Höhenflug in Europa erscheinen mir aber weder Ressentiments noch die sogenannten Finanz- und Flüchtlingskrisen ausschlaggebend. Vielmehr erleben wir den Übergang in ein Zeitalter, in dem die Nationalstaaten zunehmend an Entscheidungsgewalt und Gewicht verlieren. Parallel fragmentiert sich die Öffentlichkeit in rasanter Geschwindigkeit.

Eigentlich könnte es für progressive Menschen eine gute Nachricht sein, wenn das Zeitalter der Nationalstaaten langsam zu Ende geht – und es wäre beispielsweise für die SPD sicherlich zukunftsträchtiger, Visionen für eine europäische Konföderation der Bürger zu entwerfen, anstatt mit Nationalgefühl und Zukunftsängsten hausieren zu gehen. Doch genau an diesen Visionen mangelt es in Europa, genau dies ist die Krise der EU. Und leider wählt Europa – mal wieder – im Zweifel rechts.

Siehe auch: Welterklärungsmuster für DenkfauleDie Linke im FriedenswinterKenFM und der Sozialismus der dummen KerleKeine “glühenden Antisemiten” links von Hitler?,  SPD: Sicherheit, Patriotismus und ein starkes DeutschlandFreiheit – der vergessene Diamant der Linken, SPD: Mit Stammtisch-Parolen gegen Populismus



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